Die Eem-Grabung in Klinge

Bei Klinge, 12 km östlich von Cottbus, führte das Museum der Natur und Umwelt Cottbus von 1985 bis 2003 eine geologisch-paläontologische Ausgrabung in eem-warmzeitlichen Seeablagerungen des Pleistozäns durch.

Grabung in Klinge
Grabung in Klinge

Der Aufschluss befindet sich zwischen zwei ehemaligen Tongruben an der Südrandböschung des Tagebaus Jänschwalde. In mehreren 2-3 m hohen, mit einander verbundenen Schnitten ist die Schichtenfolge eines eem-warmzeitlichen bis frühweichsel-kaltzeitlichen Sees in bilderbuchhafter Weise aufgeschlossen.

Die Eem-Warmzeit begann vor 128.000 Jahren und endete vor 113.000 Jahren.
Die Eem-Warmzeit begann vor 127.200 Jahren und endete vor 115.000 Jahren.
Während die Klinger Torfe fast an der Erdoberfläche liegen, steht die Braunkohle im 2. Niederlausitzer Flöz etwa 40 m tiefer an.
Während die eemzeitlichen Klinger Torfe fast an der Erdoberfläche liegen, steht die jungtertiäre Braunkohle im 2. Niederlausitzer Flöz etwa 40 m tiefer an.

Die Grabung diente einerseits der Gewinnung von fossilen Tier- und Pflanzenresten für die Ausstellung des Museums, andererseits einer modernen geologischen Bearbeitung des wichtigen Aufschlusses, der als einziger Eem-Aufschluß im Land Brandenburg wegen der Stabilität seiner Schichten über längere Zeit für die Öffentlichkeit erhalten werden kann. Wichtigen Funde sind: Unterkiefer von Wolf und Pferd, Panzerplatten der Sumpfschildkröte, Skelette von Fischen, Holzstücke mit Biberschnitt, Flügeldecken von Käfern, Schalen von Muschelkrebsen und unendlich viele Pflanzenreste.

Samen
links: Kiefer (Pinus silvestris) rechts oben: Eibe, Hainbuche, rechts unten: Linde, Ahorn
Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) aus dem Unteren Torf (Eem-Warmzeit) von Klinge
Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) aus dem Unteren Torf (Eem-Warmzeit) von Klinge

Zur Geschichte des Aufschlusses

Der kleine Ort Klinge, von dem nach der Überbaggerung durch den Tagebau Jänschwalde 1985 zwar nur noch ein kleiner Rest übrig blieb, ist trotzdem bei vielen Quartärgeologen in aller Welt bekannt. Denn vor reichlich 100 Jahren wurden hier beim Abbau von Ton für die Ziegelproduktion erste Knochen von Großsäugetieren sowie eine Vielzahl interessanter Pflanzenreste (75 Arten) aus der Eiszeit gefunden.

Der naturwissenschaftlich interessierte Cottbuser Stadtrat Hugo RUFF (1843-1924), Mitglied der Niederlausitzer Gesellschaft für Anthropologie und Altertumskunde, sorgte damals dafür, dass die Klinger Funde wissenschaftlich bearbeitet wurden. A. NEHRING, Wirbeltier-Paläontologe und Professor an der Berliner Landwirtschaftlichen Hochschule, übernahm diese Aufgabe und besuchte in der Folgezeit mehrfach die Klinger Tongruben. Zu Ehren von Ruff benannte er nach der rechten Geweihschaufel eines jugendlichen Riesenhirschs, die im Oberen Torf gefunden worden ist und immerhin 1,20m maß, eine besondere Riesenhirsch-Rasse mit dem Namen Cervus megaceros var. Ruffii (Heute wird dieser Fund der Art Megaloceros giganteus zugeordnet).

Schichtenfolge in der Schmidtschen Tongrube. Zugeordnet sind die früheren Säugetierreste.
Schichtenfolge in der Schmidtschen Tongrube. Zugeordnet sind die früheren Säugetierreste.

In der Folgezeit wurden weitere Knochen gefunden. Prominente Wissenschaftler dieser Zeit, wie K. KEILHACK, H. CREDNER, F. WAHNSCHAFFE, E. POTONIE, C. A. WEBER, A.G. NATHORST, aber auch Laienforscher, wie der Luckauer Arzt R. BEHLA, besuchten die Fundstellen in Klinge oder bearbeiteten Funde und Fundumstände. Eine rege wissenschaftliche Diskussion drehte sich um die Frage, welchem der beiden damals bekannten Interglaziale (= Zwischeneiszeiten, Warmzeiten) die Klinger Schichten zugeordnet werden müssen. NEHRING, der die meisten wissenschaftlichen Beiträge über Klinge veröffentlicht hat, neigte auf Grund urtümlicher Merkmale des in Klinge gefundenen Biber-Unterkiefers sowie wegen des reichlichen Vorkommens von Samen der in Europa ausgestorbenen Seerose Brasenia anfangs dem älteren Interglazial zu. Auch die häufig auftretenden Samen der Krebsschere, die damals den Botanikern auf Grund der überwiegend vegetativen Vermehrung dieser Wasserpflanze noch nicht bekannt waren und erst nach intensiver Nachsuche in einem See durch den Geologen K. KEILHACK als Krebsschere erkannt wurden, trugen zu dieser Einschätzung bei, der aber schon damals widersprochen wurde und die durch moderne Pollenuntersuchungen von K. ERD und M. SEIFERT widerlegt ist.

Geologische Skizze des Interglazialvorkommens von Klinge (ältere Dominialgrube) im heutigen Anschnitt (geol. Aufnahme: R. und U. Striegler 1985)
Geologische Skizze des Interglazialvorkommens von Klinge (ältere Dominialgrube) im heutigen Anschnitt (geol. Aufnahme: R. und U. Striegler 1985)

Weichsel-Glazial: 1 – Sande, 2 – Torf, 3 – Ton und Tonmudde
Eem-Interglazial: 2 – Torf, 4 – Ton mit Torflagen, 5 – Lebertorf, 6 – Lebermudde und Ton
Warthe-Glazial: 7 – Bänderton, 8 – Fließerden, 9 – Grundmoräne, 10 – glazifluviatile Kiese und Sande, Saale-Komplex: 11 – Tranitzer Fluviatil
(Eingetragen sind die eingemessenen Profilteile, Interpretation: R. und U. Striegler 2017)

Die letzten Wirbeltierfunde von Klinge bis zum Grabungsbeginn des Cottbuser Museums sind 1908 von H. SCHROEDER & J. STOLLER beschrieben worden. Sie hatten in der Groscheschen Tongrube Skelettreste eines Wildrindes sowie das ziemlich vollständige Skelett eines Mammuts geborgen. Damit umfasst die Liste der in Klinge gefundenen Wirbeltiere folgende Arten: Elch, Rothirsch, Riesenhirsch, Wildrind, Rentier, Wildpferd, Nashorn, Mammut, Fuchs, Biber, Sumpfschildkröte, Hecht und Schlei. Ein Teil dieser Funde wird im Museum für Naturkunde Berlin aufbewahrt, wohin nach dem Krieg auch die Sammlung NEHRINGS gelangt ist. Leider war ein großer Teil von NEHRINGS Funden unbeschriftet, so daß sie nicht mehr identifizierbar sind. Besonders bedauerlich ist das Schicksal der Riesenhirsch-Schaufel, die im Herbst 1936 von Prof. H. KIRCHNER, der norddeutsche Riesenhirsch-Funde wissenschaftlich bearbeitet hat, „in zerbrochenem Zustand unter einer Seitentreppe der Sammlung der Landwirtschaftlichen Hochschule“ vorgefunden hat. Seitdem fehlt von diesem wertvollen Stück jede Spur. Das im Cottbuser Heimatmuseum gezeigte Exemplar, zuletzt bis 1945 in der Cottbuser Loge, war nach einer Notiz in den „Niederlausitzer Mitteilungen“ eine Nachbildung. Sie ist 1945 ebenfalls verloren gegangen. Anlässlich der Sonderausstellung „100 Jahre Museum Cottbus“ 1987 im Schloss Branitz fertigte der Holzbildhauer W. GALLER (damaliges Bezirksmuseum Cottbus) nach einer alten Zeichnung, der Originalbeschreibung und einem Foto der ersten Kopie eine meisterhaft gelungene zweite Kopie an, die sich in der Museumssammlung befindet und im Museum der Natur und Umwelt Cottbus Am Amtsteich 17/18 zu sehen war.

Mehrere Jahrzehnte war es still um die Klinger Tongruben. Sie waren längst ausgebeutet und zu Bade- und Angelteichen geworden, als sie Ende der 70er Jahre wegen der Grundwasserabsenkung für den Tagebau Jänschwalde trockenfielen. Bei einer Begehung der ehemaligen Schulz/Schmidtschen Tongrube und der alten Dominialgrube durch den Museumsmitarbeiter R. STRIEGLER und den Bezirksbodendenkmalpfleger Dr. G. WETZEL 1984 wurde zwischen beiden Gruben ein fast vollständiger Beckenquerschnitt vorgefunden, der als Damm (offenbar als Besitzgrenze zwischen beiden) stehen geblieben war, was die Möglichkeit bot, die Klinger Schichten erneut zu untersuchen. Die Werkleitung des damaligen Braunkohlenwerks Cottbus kam freundlicherweise der Bitte nach, beim weiteren Tagebaufortschritt den Damm, der eigentlich zur Überbaggerung vorgesehen war, zu schonen. Beim Passieren des Brückenverbands 1985 wurde die Südmarkscheide um 40 m eingezogen, so dass der wertvolle Interglazialaufschluss erhalten blieb. Er wurde anschließend von den geologischen Mitarbeitern des damaligen Bezirksmuseums Cottbus, bzw. des Museums der Natur und Umwelt Cottbus, wissenschaftlich untersucht. Eine wichtige Aufgabe dabei war das Sammeln von fossilen Pflanzen- und Tierresten.

Das Klinger Mammut

Ein besonderer Fund ist das erstmalig von SCHROEDER & STOLLER (1908) in einem vorläufigen Bericht erwähnte Mammutskelett, das im Unteren Torf der Gotthardtschen Tongrube geborgen worden ist und heute im Naturkundemuseum Berlin bewahrt wird. Erst 1996 wurde es von K. FISCHER ausführlich beschrieben, der darauf hinweist, dass es das erste Mammutskelett in Deutschland überhaupt ist. Es handelt sich um ein erwachsenes weibliches Tier, das mit 2,90 m Höhe nur eine geringe Körpergröße aufweist. Besonderes Interesse erlangt es durch eine Zahnwechselanomalie sowie durch die Fundposition in einem hochwarmzeitlichen Schichtkomplex.

Gefundene Skelett-Teile des Mammuts
Gefundene Skelett-Teile des Mammuts

Es war geplant, eine Nachbildung des Skeletts im Museum der Natur und Umwelt Cottbus als besondere Attraktion aufzustellen. 1991 war es schon in den Bauplänen für die Rekonstruktion des Marstalls, Schloss Branitz, dem damaligen Sitz des Museums, berücksichtigt. Durch eine Panne ist es schließlich in die Kreisverwaltung nach Forst gekommen.

Die Schichten von Klinge sind auch heute noch für viele Fachkollegen von Interesse. Spezialisten aus dem Ausland beteiligen sich an der Auswertung der Grabungsergebnisse. Exkursionen der Gesellschaft für Geowissenschaften führten 1986 und 1991 nach Klinge. Den Höhepunkt bildete eine Exkursion von Fachkollegen anlässlich des Internationalen Quartärkongresses 1995 in Deutschland. Aber auch interessierten Laien wurde die Fundstelle vorgeführt. Lange Zeit hatte das Museum eine Exkursion für Schulklassen unter dem Thema „Vom Torf zur Kohle“ im Angebot, was reichlich genutzt wurde.

Naturdenkmal / Schutz als Geotop

Der größere westliche Teil der Fundstelle soll jedoch nicht abgebaut werden. Als sich nach der politischen Wende die Perspektiven des Braunkohlenbergbaus grundlegend änderten und der Aufschluss des neuen Tagebaus Jänschwalde-Süd überflüssig wurde, setzte sich der Fachbereich Geologie des Museums für den Schutz des inzwischen zweifelsfrei als Eem bestätigten Warmzeit-Vorkommens von Klinge ein. Bereits 1991 wurde deshalb mit der Lausitzer Braunkohle AG Verbindung aufgenommen, damit der Betrieb

  • den Fundpunkt in seine weiteren Planungen aufnimmt,
  • die weitere Auffüllung der ehemaligen Tongrube mit Müll verhindert.

Mit Unterstützung vieler Partner wurde schließlich erreicht, dass die Abgeordneten im Frühjahr 2000 den Beschluss fassten, einen Teil des Aufschlusses unter Naturschutz zu stellen. Aber erst ein nachfolgendes Nutzungskonzept, das Frau F. GRUNE unter Mitwirkung vor allem von Frau HÄNSEL (Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH), Herrn Dr. KUPETZ und dem Fachbereich Geologie des Museums erarbeitete, sicherte die nötigen Finanzmittel zur geotechnischen Sicherung des Vorkommens bei der Sanierung der Südrandböschung des Tagebaus Jänschwalde.

Freilichtmuseum „Zeitsprung“

In den Jahren 2007 und 2008 wurde das Freilichtmuseum „Zeitsprung“ auf dem Gebiet der Grabung errichtet. Es wird von der Interessengemeinschaft Klinger See e.V. betrieben.

Der Naturwissenschaftliche Verein unterstützt bei der Ausstellungsgestaltung und der Öffentlichkeitsarbeit.